26. Juli 2020
Die Toten und die Katzen

Im alten Ägypten gab es eine Zeit, in der die Urahnin unserer heutigen Hauskatze extrem (Toten-)kultig wurde. Die schnurrende Jägerin, die Mäuse, Ratten und Vögel von Haus, Hof und Feld fern hielt, stieg auf der Karriereleiter zur Göttin auf. Man nannte sie Bastet. Die Göttin, zuständig für Liebe und Fruchtbarkeit, wurde jedoch nicht nur verehrt, angebetet und bepilgert, sondern auch mit geopferten Katzen beschenkt. Ob ihr das wirklich gut gefiel, ist nicht überliefert. Wer kann schon in den Kopf all der Göttinnen und Götter hineinsehen oder gar ihren letzten Willen erkennen?  

Sorgfältig einbalsamiert und kunstfertig mumifiziert setzte man dann die Opfer-Katzen in Grabkammern bei. So sollten sie ihre Reise in die Unendlichkeit antreten und körperlich gut in Form im Jenseits ankommen. Eigentlich eine große Ehre für Abertausende Katzen. Denn nur so aufwändig präpariert konnte ihr Weiterleben ja überhaupt weiter gehen. Eigentlich aber auch eine traurige Geschichte, da man annimmt, dass die Katzen für das Opfern eigens in Tempeln gehalten wurden.

Für immer, für ewig?

Ob es irgendwo ein Jenseits gibt, in dem jenseitige Katzen von jenseitigen Pharaonen gestreichelt werden, kann ich nicht beurteilen. Ich kenne jedoch ein diesseitiges Katzen-Paradies, einen Himmel auf Erden. Es ist – irgendwie passend – ein wunderschöner Friedhof inmitten der ewigen Stadt, also in Rom. Sein offizieller Name: Campo Cimitero del Verano.

Er ist der lebendigste Friedhof, den ich kenne. Nicht wegen all der Menschen auf Kurzbesuch, sondern wegen all der Katzen, die sich in der opulenten Totenstadt ungestört ihrem kätzischen Dolce Vita hingeben: auf Samtpfoten schreitend, elegant lustwandelnd, entspannt dösend, sich hingebungsvoll putzend, sich treffend, sich liebend. 


Die Katzen und die Toten scheinen sich hier bestens zu verstehen. Vielleicht plaudern sie sogar – von uns lebenden Menschen unbemerkt – über die Vergänglichkeit, über den Unterschied zwischen einem einzigen und sieben Leben, über gutes und schlechtes Essen, über ihre Vorfahren, über Totenkulte, über Kinder und Enkel. 

Zwischen Prachtmonumenten für die Ewigkeit, Sarkophagen, melancholischen Statuen und verhuscht überwuchertem Marmor gleichen die Katzen mehr geheimnis-bewahrenden Grabwächtern denn freiheitsliebenden Streunern an einem Rückzugsort. Hoheitsvoll und Ehrfurcht gebietend, zeigen sie sich als souveräne Herrscherinnen über ein menschliches Totenreich. Man beleidigt ihre Würde, wenn man sie mit einem lockenden „Miez, Miez“ anspricht. Sie verweigern ihre Aufmerksamkeit, wenn man sie in der Katzenbabysprache anmauzt. Auf jeden Fall kam es mir so vor. Denn genau das habe ich getan und wurde dabei kaum eines Blickes gewürdigt. Allenfalls traf mich ein höchst divenhafter Seitenblick. Mit genau der wohldosierten distanzierten Herablassung, die es braucht, um sich selbst peinlich zu sein. 



Antworten aus der Stille.



Die Katzen von Rom sprachen zwar nicht mit mir, doch sie schienen mir deutlich zu sagen: „Wer die Würde der Katze missachtet, der entwürdigt auch sich selbst.“ Ich finde, dass die Katzengöttin Bastet stolz auf ihre kultivierten Friedhofswächter sein kann. Ich glaube, dass es sie mehr erfreuen würde, wie sie ihr hier tagtäglich huldigen: souverän dem Sein und Werden verbunden, auf Du und Du mit dem Vergehen und sich im ewigen Kreislauf allen Lebens genüsslich recken und strecken. 

Copyright Text und Fotos: Petra Clamer

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