7. Juni 2020

Reisegrüße aus der Vergangenheit.
Meine ersten Reisen waren zu einer Zeit, als Telefonhörer noch Schnüre hatten. Ich recherchierte in Büchereien, schrieb Fremdenverkehrsämter an und schickte Faxe an potenzielle Unterkünfte in die Ferne. Irgendwann kam dann was zurück. Dünne, dicke, manchmal auch halb zerrissene Briefe mit exotischen Briefmarken. Da fühlte ich noch richtig, wie weit weg wir eigentlich wollten. Die Druckqualität der Unterlagen war häufig so mies, dass die verblassten Fotos (mit Pech noch in Schwarz-Weiß) nur Schemen zeigten. Was war das? Dennoch buchen oder lieber nicht? Meine Reiseplanungen dauerten weder Tage noch Wochen. Ich brauchte einen Vorlauf von 6 bis 12 Monaten. Manche nennen das dann Vorfreude.
Als es erstmalig in die Bretagne ging, nahm ich vorher Kassetten für die Autofahrt auf – natürlich mit bretonischem Gesang und mit keltischer Harfe. Kennt jemand noch Alan Stivell? Echt genial für das Land der Dolmen und Menhire, der Korsaren und des rosafarbenen Granits! Wisst Ihr noch, was Kassetten sind? Wie sie sich gern mal verhedderten? Mit viel Pech sogar rissen?
Kein GPS, kein Smartphone.
Manchmal suchten wir stundenlang den Weg zu einer Burgruine. Wir mussten echte Menschen nach bestimmten Kultstätten fragen und waren dort, wo wir dann landeten, fast immer mit uns und dem Ort allein. Ein herrliches Gefühl. Kaum zu glauben: Wir haben alles gefunden, was ich vorher mühsam und langwierig rausgefunden hatte. Glück pur.
In Portugal wusch man noch Wäsche im Fluss. In Barcelona war die Sagrada Familia kaum ausgeschildert. Wir fuhren zwei Stunden im Kreis. Auf Sri Lanka sahen die Straßen und Dörfer fast überall noch so aus wie in historischen Reiseführern um 1900. Und unsere Anreise zu unserer Unterkunft auf Bali war knapp 40 Stunden lang. Ohne eine einzige Flugverspätung.
Von all diesen Reisen brachten wir Unmengen Fotos mit – sieben bis 12 Diafilme wurden verschossen. Damals war das viel. Denn diese Filme waren richtig teuer und ein kostengünstiges Doppelpack hatte 72 Aufnahmen. Mit etwas Glück noch drei, vier mehr…
Imaginierte statt virtuelle Freundschaften.
Waren wir auf den Fotos? Kaum. Es ging uns ja um die Welt um uns herum. Um das Fremde, das Neue, das Andere. Wenn wir uns aufnahmen, dann nur gen Reiseende. Dann sahen auch wir etwas fremder, neuer und anders aus: braun gebrannt, beseelt und gut erholt. Na ja, meistens. Und auch mehr ich. Denn ich scheuchte meinen Mann auch schon mal in der Mittagshitze durch fast unerkennbare Amphitheater. Nur weil ich mir zusammengereimt hatte, dass mein Lieblingskaiser Hadrian dort wohl auch mal gesessen haben musste. Irgendwann so um 85 n. Chr.
Wir wussten nie ganz genau als was sich eine Unterkunft vor Ort entpuppen würde. Heute weiß man das allerdings auch nicht. Photoshop sei Dank. Damals gab es auch noch kein Versenden von Momentaufnahmen via Smartphone. Man suchte Briefkästen oder hoffte, dass das Hotelpersonal wirklich die Postkarten verschicken würde. Heute kommen Urlaubsgrüße in Sekunden an, damals mit unfassbar viel Glück noch vor der eigenen Heimkehr. Ach, ja…
Natürlich gab es Dia-Abende. Für uns die pure Freude. Für die anderen? Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn ich erzählte ja nicht nur von all unseren Eindrücken und Erlebnissen. Ich teilte auch nicht nur mein Wissen. Nein, ich sprudelte, schwärmte, schwelgte. Meine Begeisterung war unbezähmbar. Die anderen knabberten Salzstangen und tranken vino. Ich war auch ohne berauscht. Höchstwahrscheinlich hätte mich jedes Reisebüro als Promoter engagiert.
Zugegeben: Ich vermisse diese Zeit. Irgendwie. Sie kommt mir heute so vor, als ob sie dichter dran an das Reisen im 19. Jahrhundert war als an den Reisen Anno 2020. (Na ja, nicht gerade jetzt während der Pandemie)
Sehens-würdig, merk-würdig – und jetzt?
Im 19. Jahrhundert fuhren die ersten Dampfschiffe auf den Flüssen und die ersten Eisenbahnen rasten mit Volldampf auf spektakulär langen Strecken von A nach B. 40 Kilometer waren so richtig lang und die entsprechende Acht-Stunden-Fahrt verdammt schnell! Viel zu schnell für die Gesundheit, wie einige mahnten. In jener Zeit erschienen – wen wundert es – auch bereits die ersten Reiseführer. Man nannte sie „Handbuch für Schnellreisende“. Klar, so im Vergleich zu früher. Man war ja knapp dem Reisezeitalter der Kutschen entwachsen…
Der seinerzeit berühmteste Reiseführer kam aus dem Hause Baedeker. Carl Baedeker war ein äußerst penibler Rechercheur von Schnell-Verbindungen, Zeiten, Unterkünften und Preisen (ja, ich fühle mich ihm im Geiste verbunden, werde nur nie so berühmt sein). Er widmete sich selbstverständlich auch dem, was man wo wie warum und wann am besten besuchen sollte. Was wir heute als Sehenswürdigkeiten kennen, nannte er allerdings noch Merkwürdigkeiten.
Acht Stunden für 40 Kilometer kennen wir nur noch durch Staus auf Straßen. In acht Stunden können wir nonstop schon reichlich weit fliegen. Wie müssten wir uns dann eigentlich nennen? Sind wir überhaupt noch Reisende? Oder nur noch Konsumenten der Welt? Wie müsste man heute Sehenswürdigkeiten nennen? Selfie-Wertigkeiten?
Erinnerungen sind keine vergangene Gegenwart.
Ich gestehe: Als man noch fand, dass ein Dom oder eine Stupa des Merkens würdig war, liegt mir deutlich näher als des Sehens würdig. Ich scheine schlimmer als Retro oder alt zu sein. Aber vielleicht bin ich auch nur ein Snob, der das Reisen früherer Zeiten verklärt.
Vielleicht sollte ich Euch Postkarten zusenden. Meine Erinnerungen nicht im Blog veröffentlichen und auf Facebook und Co. posten. Vielleicht sollte ich mir wieder ein Faxgerät kaufen und keine Mails hin und her jagen. Vielleicht sollte ich mit meiner Digi-Knipse nicht mehr 500 Aufnahmen in 7 Tagen machen, sondern wie früher nur 50?
Och Nö. So dann doch nicht…