24. Mai 2020

Petra – nein, nicht ich.

Angereichert mit Wissen aus Büchern, Grabungsberichten, historischen Quellen und Dokumentationen sowie ergriffen von der Schönheit vielfach bestaunter Fotos, wollte ich unbedingt nach Petra, der Hauptstadt der Nabatäer. Der Ort, der vor über 2.500 Jahren begann, sich zwischen Felsen einzunisten und sich gemütlich einzurichten, trug ja sogar meinen Namen! Noch ein Grund mehr ihn zu besuchen. 

Umgeben von Bergen, gekonnt versteckt hinter Felsen, erlebte Petra das bunte Treiben von rund 40.000 Bewohnern vor bunten Natursteintapeten. Das Kostbarste und Luxuriöseste, was es in dieser Gegend gab, war Wasser. Die Nabatäer wurden daher zu den großartigsten Meistern über Wasser und Stein. Sie bauten nicht mit, sondern in den Stein hinein. Sie meißelten mehrstöckige, prächtige Gebäude aus den Felsen heraus – wie Bildhauer ihre Skulpturen. Man planschte in Badewannen mit Panoramasicht, vergnügte sich in und an Swimmingpools und war umgeben von üppigen Grünanlagen. Und das in einer der unwirtlichsten Gegenden Jordaniens. Eine echte Oase – von außergewöhnlichen Menschen erschaffen. 

Irgendwann gab es das belebte und bewohnte Petra nicht mehr. Petra war den Blicken der Welt so verborgen, dass sie von der Zeit vergessen wurde, ähnlich wie die Erbauer von der Geschichte. Doch ich verliere mich in melancholischer Bewunderung. Ich wollte ja von mir schreiben. Petra in Petra.

Eine Ouvertüre in Stein.

Mit Hunderten anderer Touristen schlenderte ich durch den Siq, dem engen, langen Zugang zum versteckten Tal, in dem Petra liegt. Störten mich die anderen? Erstaunlicherweise nicht. Denn einst waren hier sicher auch viele Menschen unterwegs gewesen, ja ganze Karawanen. Und die Felsspalte, durch die wir alle gehen mussten, zeigte ja bereits auf Schritt und Tritt wie versiert die Stein- und Wasserkünstler waren. Der knapp zwei Kilometer lange Fußweg förderte bei mir eine demütige Spannung und fühlte sich wie eine verheißungsvolle Ouvertüre an. Für das, was am Ende des schmalen Felsdurchbruches zuerst zu sehen sein würde: das berühmteste Bauwerk der antiken Stadt.  

Dann gab die gewundene Schlucht wirklich und endlich den Blick frei: auf das so genannte Schatzhaus des Pharao, dessen einzige Schätze dereinst die Verstorbenen waren. Und auch nicht die eines Pharaos. Die Nabatäer hatten wirklich ein Händchen für überraschende Inszenierungen. 

Die meisten Felsbauwerke sind Mausoleen. Das wusste ich zwar, doch erst vor Ort wurde mir bewusst, was das eigentlich bedeutet. Die Nabatäer behielten ihre verstorbenen Verwandten bei sich. Sie bestatteten sie ja am Rand des Talkessels. Sie lebten, liebten und wohnten umgeben von ihren Vorfahren, umgeben vom Kreise ihrer Lieben. So blieben sie nicht nur allgegenwärtig, sondern ihre prächtige letzte Ruhestätte wurde auch zur Kulisse für die Bühne des Lebens. Wie schön ist das denn? 

Alles in Petra war beeindruckender als jemals gedacht. Alles noch großartiger. Nach und nach verwirrten sich jedoch meine Gedanken. Staunen, Ehrfurcht und Ergriffenheit löschten all das Wissen, das ich mir eingeprägt hatte, aus. Ich dachte nur noch eins: Es ist unglaublich! Und mein Kopf wackelte entsprechend ungläubig hin und her. Petra war zu viel, zu groß.

Dann geschah noch Unglaublicheres. 

Ich fühlte mich so, als ob ich in einen faszinierend märchenhaften Tagtraum hineingezogen wurde. So als ob ich gerade in Sphären eintauche, die mich entweder transzendieren oder irre werden lassen. Mit Pech auch beides. Ich stand oder saß mitten in einer phantastischen Welt aus Buntsandstein, der bereits aus sich selbst heraus ein hochbegabter Künstler war. Allerdings einer auf Drogen. 

Ich versuchte, den Mustern im Stein mit den Augen zu folgen. doch sie verloren sich im Irgendwo. Ich zwang mich, bildschöne Ausschnitte der bunten Felsen zu fixieren, doch sie entzogen sich mir. Der Formen- und Farbenrausch schien auf mich abzufärben, meine Sinne zu beherrschen, mich zu hypnotisieren und gefangen zu nehmen. Was passierte da in Petra mit Petra? Mir wurde manchmal richtig schwindelig. Doch es war weder der Kreislauf noch Wassermangel. Und – ich schwöre – ich hatte auch keine vermeintlich bewusstseinserweiternden Substanzen zu mir genommen.  
Petra ist halluzinogen und psychedelisch. Abgefahren, irreal, surreal. Petra lässt sich nicht beschreiben, nicht fotografieren oder filmen. Nicht wirklich. Für Petra fühlen sich all die Superlative meines Sprachschatzes wie Gelaber an. Zu häufig benutzt, zu oft gelesen, zu oft für weniger verwendet. 

Nichts, wirklich nichts, wird diesen übermächtigen Eindrücken vor Ort gerecht, diesem Farbenrausch, dieser Magie und Schönheit. Noch immer stimmt, was bereits Lawrence von Arabien dachte: Jede Beschreibung verblasst vor dem eigenen Erleben. 

Per Zufall hörte ich nen Teenager zu seinen Eltern sagen: „Voll krass!“ Ich befürchte, das trifft es am besten.
Alle Fotos & Text: Copyright by Petra Clamer

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